Erläuterungen zum Initiativtext

Dem Parlament obliegt, zu definieren, was es aus einer Initiative machen will. Es muss sich dabei an die Absichten der Initianten halten. Rechtlich gesehen ist nämlich bei der Auslegung nicht nur der Text, sondern auch der Zweck und der historische Kontext zu berücksichtigen.

Bestehende Regelung in der Bundesverfassung (bleibt unverändert)

Art. 120 Gentechnologie im Ausserhumanbereich

1 Der Mensch und seine Umwelt sind vor Missbräuchen der Gentechnologie geschützt.

2 Der Bund erlässt Vorschriften über den Umgang mit Keim- und Erbgut von Tieren, Pflanzen und anderen Organismen. Er trägt dabei der Würde der Kreatur sowie der Sicherheit von Mensch, Tier und Umwelt Rechnung und schützt die genetische Vielfalt der Tier und Pflanzenarten.

Regelungsgegenstand von Art. 120 BV ist der Umgang mit nichtmenschlichem Keim- und Erbgut, mit dem sich gentechnische Verfahren beschäftigen. Darunter fallen neben den klassischen gentechnisch veränderten Organismen auch solche, die durch neue genomische Techniken erzeugt werden.

Die beiden Absätze bilden bisher die Grundlage für das heutige Gentechnikgesetz. Sie schützen Mensch und Umwelt vor Missbräuchen (Vorsorgeprinzip) und begründen Vorschriften zu:

  • Sicherheit (Risikoprüfung, Zulassungsverfahren)

  • Würde der Kreatur

  • Schutz der genetischen Vielfalt von Tieren und Pflanzen

Deren Umsetzung wird auf Stufe Gentechnikgesetz (GTG) geregelt. Nun will aber der Gesetzgeber (National- und Ständerat) diesen Verfassungsauftrag mit einer Änderung des GTG nicht mehr umsetzen, weshalb mittels dieser Volksinitiative einige Formulierungen des GTG bzw. der Freisetzungsverordnung (FrSV) auf die Verfassungsebene gehoben werden sollen.

Die Volksinitiative geht davon aus, dass die heutigen, auf Art. 120 Abs. 1 und 2 basierenden Gesetzgebungen in der Regel unverändert bestehen bleiben, soweit sie nicht von der Volksinitiative präzisiert werden. Dies gilt insbesondere für das Gentechnikgesetz, die Freisetzungsverordnung und die Einschliessungsverordnung.


Eidgenössische Volksinitiative «Für gentechnikfreie Lebensmittel (Lebensmittelschutz-Initiative)»

Die Bundesverfassung wird wie folgt geändert: Art. 120 Abs. 1bis und 3–6 sowie Art. 197 Ziff. 17²

Art. 120 Gentechnologie im Ausserhumanbereich

Abs. 1bis Gentechnisch veränderte Organismen sind Organismen, deren genetisches Material auf eine Weise verändert worden ist, wie dies unter natürlichen Bedingungen durch Kreuzen oder natürliche Rekombination nicht vorkommt. Zu diesen gehören auch Organismen, die durch neue genomische Techniken erzeugt worden sind.

Die Neuen Genomischen Techniken (NGT) sind nach herrschender juristischer Lehre rechtlich gleich zu behandeln wie die bisherigen Gentechniken. Die Gleichbehandlung soll mit dem vorliegenden Absatz auch textlich zum Ausdruck gebracht werden.

Der erste Satz entspricht der Definition im heutigen Gentechnikgesetz Art. 5, Abs. 2.

Der zweite Satz stellt sicher, dass die Auslegung der herrschenden juristischen Lehre und die Überlegungen des Postulatsberichtes des Bundesrates in Beantwortung der Postulate 20.4211, 21.3980 und 21.4345 [2], wonach neue genomische Techniken gentechnische Methoden sind, nicht umgangen werden. Auch das Urteil des Europäischen Gerichtshofs [1] hat diese Auffassung vertreten und da sich das Schweizerische Recht diesbezüglich sehr stark an das Europäische Recht anlehnt, entspricht es auch der Schweizerischen Rechtsauffassung.

«Neue genomische Techniken» werden im Sinn des EU-Verordnungsentwurfs von 2023 [3] verstanden. Der Begriff wird darin definiert als “Oberbegriff zur Beschreibung einer Vielzahl von Techniken, die das genetische Material eines Organismus verändern können und die seit der Verabschiedung der Rechtsvorschriften der Union über genetisch veränderte Organismen (GVO) im Jahr 2001 entstanden sind oder entwickelt wurden". Namentlich aufgeführt werden im EU-Verordnungstext Gezielte Mutagenese und Cisgenese (einschliesslich Intragenese).

Nach Auffassung der Initianten sind die präzisen Definitionen der gentechnischen Verfahren im heutigen Anhang 1, Abs. 1 und 2 der Freisetzungsverordnung (FrSV) zweckmässig im Sinn der Volksinitiative. Ebenso sollen die in Abs 3 FrSV genannten Verfahren weiterhin nicht als gentechnische Verfahren gelten. Unzulässig im Sinn der Volksinitiative ist die Nennung von einzelnen, mehreren oder allen NGT in Anhang 1, Abs. 3 FrSV.


Art. 120 Gentechnologie im Ausserhumanbereich

Abs. 3 Das Inverkehrbringen und im Versuch Freisetzen von gentechnisch veränderten Organismen, insbesondere solcher, die zu landwirtschaftlichen, gartenbaulichen oder forstwirtschaftlichen Zwecken bestimmt sind, unterliegt einem Bewilligungsverfahren, in welchem die Risiken zu prüfen sind.

Mit diesem Artikel wird sichergestellt, dass alle derartigen GVO geprüft und bewilligt werden müssen, bevor sie in Verkehr gebracht oder im Versuch freigesetzt werden. Dazu gehören auch direkt in der Landwirtschaft, im Gartenbau oder in der Forstwirtschaft ausgebrachte, lebendige gentechnisch veränderte Mikroorganismen.

Das Bewilligungsverfahren ist mehrstufig («step by step») und erfasst die Risiken des Inverkehrbringens stufengerecht. Die Begriffe «Inverkehrbringen» und «im Versuch Freisetzen» sind im heutigen Art. 5, Abs. 4 & 5 GTG definiert.

Die Einschränkung von gentechnischen Veränderungen bei Wirbeltieren gemäss Art. 9 GTG soll weiterhin bestehen bleiben, um der Würde der Kreatur entsprechend Rechnung zu tragen.

Diese Regelung gilt nicht für Organismen, die mit Techniken zur genetischen Veränderung gewonnen werden, die herkömmlich bei einer Reihe von Anwendungen angewandt wurden und seit langem als sicher gelten, wie das Leiturteil des Europäischen Gerichtshofs [4] festhält. Beispiele dafür finden sich im Anhang 1, Abs. 3 FrSV.


Art. 120 Gentechnologie im Ausserhumanbereich

Abs. 4 Wer gentechnisch veränderte Organismen in Verkehr bringt, muss sie zur Gewährleistung der Wahlfreiheit und der Rückverfolgbarkeit sowie zur Verhinderung von Täuschungen als solche kennzeichnen.

Die Formulierung basiert auf dem gültigen Art. 17 GTG. Das Inverkehrbringen genetisch veränderter Organismen erfordert zwingend eine Kennzeichnung, um die Wahlfreiheit und Rückverfolgbarkeit sicherzustellen. Dies gilt auch für Einfuhren.

Die Regelung der Kennzeichnungspflicht im aktuellen GTG soll weiterhin Bestand haben, namentlich die Kennzeichnung von Erzeugnissen, insbesondere von Lebensmitteln und Zusatzstoffen, die aus gentechnisch veränderten Organismen gewonnen wurden.


Art. 120 Gentechnologie im Ausserhumanbereich

Abs. 5 Der Bund gewährleistet eine gentechnikfreie landwirtschaftliche, gartenbauliche und forstwirtschaftliche Produktion und unterstützt die dazu nötige Forschung und Züchtung. Wer gentechnisch veränderte Organismen in Verkehr bringt, trägt die Kosten der Koexistenzmassnahmen.

Es wird davon ausgegangen, dass die Koexistenz von GVO-freien und GVO-Anbauformen möglich ist. Dieser Artikel will sicherstellen, dass der gentechnikfreie Anbau und die dazu nötige Forschung und Züchtung weiterhin stattfinden. Züchter, Landwirtschafts-, Gartenbau- oder Forstbetriebe sollen die Wahl haben, bei der Produktion auf den Einsatz von Gentechnik zu verzichten. «Gewährleistung» erfordert ein Regelwerk, das die Koexistenz ermöglicht. «Unterstützung» beinhaltet ein staatliches Engagement in der entsprechenden Forschung und Züchtung.

Die Kosten für Koexistenzmassnahmen müssen durch die Anwender von GVO getragen werden – und nicht durch diejenigen, die darauf verzichten wollen. Wenn z.B. Abstandsregeln zwischen Feldern nötig sind, müssen diejenigen die nötigen Massnahmen treffen und die Kosten dafür tragen, die GVO im Anbau einsetzen möchten. Zu den Koexistenzmassnahmen rechnen die Initianten auch strenge Regeln zur Haftpflicht. Diese sind im Kapitel 5 des bestehenden Gentechnikgesetzes ausreichend im Sinn der Initianten geregelt und dürfen nicht geschmälert werden.


Art. 120 Gentechnologie im Ausserhumanbereich

Abs. 6 Die Wirkung von Patenten erstreckt sich nicht auf Pflanzen und Tiere aus gentechnikfreier Züchtung, die zu landwirtschaftlichen, gartenbaulichen oder forstwirtschaftlichen Zwecken bestimmt sind, und auch nicht auf Teile oder Bestandteile solcher Pflanzen und Tiere.

Mit diesem Artikel soll garantiert werden, dass die gentechnikfreie Züchtung nicht durch Patente behindert wird und ein freier Zugang zu einem breiten Genpool erhalten bleibt. Denn dieser freie Zugang ist für die fortdauernde Weiterzüchtung von Pflanzen und Tieren und somit auch für die Ernährungssicherheit essenziell.

Grundsätzlich sind Patente auf Pflanzensorten und Tierrassen und im Wesentlichen biologische Verfahren zur Züchtung von Pflanzen und Tieren heute verboten (Artikel 53b Europäisches Patentübereinkommen [5] und Artikel 2, Abs. 2b Schweizer Patentgesetz [6]). Dieses Verbot wird allerdings trickreich umgangen. Mit dem Passus sollen die Schlupflöcher gestopft werden.

Auf Gesetzesebene soll aufgrund des Verfassungsartikels klargestellt werden, dass z.B. auch Produkte aus zufälliger Mutagenese nicht patentiert werden können, und dass Verfahrenspatente auf technische und gentechnische Verfahren (wie z.B. CRISPR/Cas9) oder Patente auf Gensequenzen sich nicht auf Pflanzen oder Tiere aus gentechnikfreier Zucht erstrecken. Das gleiche gilt für die Verwendung von Pflanzen, Tieren oder Teilen davon aus gentechnikfreier Zucht. Entsprechende Regelungen gibt es bereits in Ländern wie Frankreich oder Österreich.

Die Begrifflichkeit «ihre genetische Teile oder Bestandteile» («their genetic parts or components») entspricht Art. 12.3, Bst. d des FAO-Saatgutvertrags [7], der die Ansprüche auf geistige Eigentumsrechte einschränkt.


Art. 197 Ziff. 17²
17. Übergangsbestimmung zu Art. 120 (Gentechnologie im Ausserhumanbereich)

Mindestens bis zum Inkrafttreten der Ausführungsbestimmungen zu Artikel 120 Absätze 1bis und 3–6 dürfen keine gentechnisch veränderten Organismen, die zu landwirtschaftlichen, gartenbaulichen oder forstwirtschaftlichen Zwecken bestimmt sind, in Verkehr gebracht werden.

Das bestehende GTG enthält einen Übergangsartikel, der ein Moratorium bis 31.12.2025 festlegt.

Dieses läuft voraussichtlich aus, bevor die geänderten Regeln auf Gesetzes- und Verordnungsstufe, insbesondere zur Koexistenz, zur Risikoprüfung, zur Kennzeichnung und zu den Nachweisverfahren vorliegen. Die Ausführungsgesetzgebung (Gentechnikgesetz, Freisetzungsverordnung etc.) muss jedoch angepasst sein, bevor GVO in Verkehr gebracht werden dürfen. Eine Verlängerung des Moratoriums über 2025 ist deshalb unumgänglich.

Der Begriff «mindestens» gibt die unbegrenzte Verlängerung des Moratoriums darüber hinaus in die Kompetenz des Parlaments. Dies kann beispielsweise angezeigt sein, wenn Risiken erkannt werden oder die Rechtsentwicklung in der EU dies erforderlich macht.


Quellen

[1] D. M. Mahlmann, „Rechtsgutachten Parameter der rechtlichen Regulierung der Genom-Editierung in der Schweiz und in Europa“, Jan. 2022.

[2] Bundesrat, „Regulierung der Gentechnik im Ausserhumanbereich. Bericht des Bundesrates in Erfüllung der Postulate 20.4211 Chevalley: Gentechnik. Welcher Geltungsbereich?; 21.3980 WBK-N: GVO-Moratorium. Belastbare Informationen als Grundlage für gute Entscheide; 21.4345 WBK-S: Züchtungsverfahren mit Genom-Editierungsmethoden“, BAFU, Bern, BAFU-212.1-53180/13/2/10/5/10, Feb. 2023.

[3] Europäische Kommission, Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über mit bestimmten neuen genomischen Techniken gewonnene Pflanzen und die aus ihnen gewonnenen Lebens- und Futtermittel sowie zur Änderung der Verordnung (EU) 2017/625. 2023.

[4] EuGh, „Rechtssache C-528/16: Vorlage zur Vorabentscheidung – Absichtliche Freisetzung genetisch veränderter Organismen in die Umwelt“. Zugegriffen: 26. Juni 2023.

[5] Europäisches Patentamt, Hrsg., Europäisches Patentübereinkommen: = European patent convention = Convention sur le brevet européen, 17. Auflage. München: Europäisches Patentamt, 2020.

[6] SR 232.14 - Bundesgesetz vom 25. Juni 1954 über die Erfindungspatente (Patentgesetz, PatG). 2023. Zugegriffen: 21. Dezember 2023.

[7] FAO, International Treaty on Plant Genetic Resources for Food and Agriculture. 2009.

Jetzt mithelfen

  • Jetzt unterschreiben

    Wir brauchen mindestens 100’000 gültige Unterschriften um die Lebensmittelschutz-Initiative erfolgreich einzureichen. Helfen Sie mit?

  • Informiert bleiben

    Abonnieren Sie unseren Newsletter, um über Neuigkeiten rund um die Initiative und unsere weiteren Aktivitäten auf dem Laufenden zu bleiben.

  • Spenden

    Der Verein für gentechnikfreie Lebensmittel benötigt finanzielle Unterstützung, um die Lebensmittelschutz-Initiative aufzubauen. Jede Spende zählt!